Die Saga

Die Geschichten der Überlebenden erzählen meist nur fragmentarisch von Geschehnissen, Legenden, Träumen und Prophezeiungen. Doch ist die Wahrheit zuermeist komplexer und facettenreicher, meist schleierhaft und verwoben mit dem Schicksal Tausender. Die Saga von Synthesis gleicht einem dichten Urwald, in dem Schicht über Schicht, Pflanzen und Lebewesen den Erdboden bevölkern, erblühen ––– üppig und bunt, um schließlich zu vergehen, zu verwelken und Platz für das Neue zu schaffen.

Geschichten ranken sich an den Bäumen entlang, suchen und finden ihren Weg ans Licht, durchbrechen die Oberflächen, das Blätterdach, vermischen sich geräuschlos ineinandergreifend im Gang der Zeit mit unserer Identität, die wiederum auch nur eine komplexe Verflechtung aus Geschichten ist.


Es ist unklar, wo und wann genau die große Erzählung beginnt, ob sie je endet und bei wem. Das Leben reicht in jeden und jede von uns hinein, verschaltet sich über Jahrtausende in unseren Gemeinschaften.

Gleichwohl bildet ein Ereignis den sicheren Auslöser der neuen Zeitrechnung und markiert somit auch das Gravitationszentrum unserer Erzählung. Die Apokalypse; die das Leben, wie man es kannte, ergriff, emporhob, um es dann in völliger Gleichgültigkeit in den reißenden Strom des Allesundnichts zu entlassen.

Die Zivilisationen lösten sich gleich verwelkenden Blüten nach einem satten Sommer von ihrem grünen Gerippe, verloren sich, verschwanden ungeachtet im Nichts der Vergessenheit.

Die Apokalypse wird sich dem geistigen Auge immer als ein Tunnel der Ungewissheit vorstellen. Eingefasst zwischen elementaren Gewalten und der Zeit, dem Schicksal ausgeliefert, tritt das urzeitliche Streben nach Überleben in den Vordergrund jedes Denken und Handelns. Tatsächlich aber ist mit dem Untergehen einer Welt auch etwas anderes verwand ––– eines untrennbar verwoben: der Neubeginn. Katharsis. Die reinigende Kraft des Abschieds, des sich Auflösen in Nebelschwaden einer verblassenden Vergangenheit.

Es ist schwer zu sagen, wie und wann sich die einzelnen Gemeinschaften entwickelten, da es kaum Überlieferungen aus der Zeit unmittelbar nach der Apokalypse gibt. Nachdem Stromnetze taumelnd und ächzend unter dem Gewicht der Naturgewalten zusammengebrochen waren, kollabierte ein Großteil unserer auf Elektrizität ausgerichteten Welt, darunter Nachrichtensender und die mit ihnen verbundene Kommunikation sowie das kollektive Gedächtnis der damaligen Zeit: das Internet. Die Warnungen, überhört, ignoriert, missachtet, läuteten das Ende ein. Noch flimmerten in den Ruinenstädten vereinzelt Lichter ––– schon löste Staub diese behutsam ab.

Was wir jedoch wissen, ist, dass sich in dieser unbarmherzigen Welt verschiedene Arten der Überlebensgemeinschaften bildeten, die sich entweder über Ihre Nähe zum Licht, zur Dunkelheit oder durch Ihre Geschicklichkeit und technische Affinität das Überleben sicherten und die bis heute überlebt haben.

So stachen die Humanoiden mit dem unbändigen Willen zu überleben hervor: Meister:innen der Technik und des Bauens von Maschinen und Festungen, die mit der Zeit zu einer großen und geschlossen Einheit zusammenschmolzen. Sie kreierten mehr und mehr neue und miteinander pulsierende Netze humanoider Siedlungen. Die Humanoiden besitzen eine gute Kenntnis über die Naturwissenschaften, sind robust, forschend und durchziehen mal in Verbänden, mal alleine die dichten Wälder. Aufgrund der Ressourcenknappheit und der beschränkten Möglichkeiten der Produktion sind sie Meister:innen des Recyclings und des Erfindens ressourcenschonender und nachhaltiger Lösungen. Ihre Kollaborationen mit den anderen Stämmen reichen vom einfachen Tauschhandel zur Bildung von Schutzgemeinschaften. Sie sind intelligent, hilfsbereit, eigensinnig, begeisterungsfähig und kennen kein Nein. Sie finden ihren Weg durch die apokalypische Welt durch Zuversicht, Kreativität und Optimismus.

Es entstand aber auch die dunkle Allianz. Eine anfangs recht lose und dann immer größer werdende Ansammlung von Wesen der Unterwelt und Anhänger:innen dunkler Magie, die sich gleich versprengten Wolfsrudeln durch die nebelbehangenen Wälder zogen und sich dort niederließen, wo die Aura der Dunkelheit am stärksten zu spüren war. Gleichwohl sind sie weder bösartig noch streitsüchtig – und doch gefährlich. Sie sind verführerisch, tragen alle Antworten auf die dunklen Sehnsüchte der Menschheit in sich und handeln nach ihren eigenen, für Außenstehende nicht zu durchschauenden Muster. Sie sind zweifelsohne weise und kennen die Geheimnisse der irdischen Welt. Durch die Rätselhaftigkeit ihrer Zungen, in denen sie ihr Wissen teilen, lassen sie stets eine fragendende Ungewissheit im Gegenüber zurück. Man spürt ihre Anwesenheit, spürt ihre Auren – oft ohne sie zu sehen oder zu hören. Die dunkle Allianz ist, gelinde gesagt, mit Vorsicht zu genießen.

Und schlussendlich entstand ihr Gegengewicht. Das Bündnis des Lichts, das alles Erleuchtete und Friedliche in seinen Reihen versammelt; Feen, Hochmagier und Lichtgestalten, Elfen und Hexen, die mit Magie schützende Kraftfelder um sich und ihre Siedlungen errichteten. Sie stehen für die Emotionen, das Reine, die hohen Spähern. Man findet sie entgegen den Erwartungen, nicht versteckt in den Untiefen des Waldes, sondern in den Bergen, auf offenen Flächen und unter freiem Himmel, auf üppigen Wiesen und Lichtungen, wo sie unter Ihren domgleichen Energiekuppeln ihr aus Weisheit und Güte gesponnenes Glück finden. Ihre Sinnzusammenhänge zeugen von Güte und setzten sich zusammen aus: Liebe, Fürsorge, Freude, Glück, Ausstrahlung von Zuversicht, Wärme und Schutz.

Jeder Stamm fand seine Nische in der neuen Weltordnung, spezialisierte sich über Jahrhunderte ––– errichtete neue und pulsierende Knoten des Lebens. Jeden Stamm eint der Glaube an das Wiederkehren eines vierten, schon lange verschwundenen Stammes. Stets frohlocken jene uralten Überlieferungen, die eine bessere Zukunft, einen Neuanfang beschwören. In jedem Stamm berichtet eine Prophezeiung von einem friedenbringenden Schicksalsmoment, in den die Delegationen aller Stämme über tausende Kilometer hinweg dem Ort des Neubeginns entgegenströmen werden, um gemeinsam den Frieden zu verkünden: Synthesis.